Growth Hacking ist ein interdisziplinärer Mix aus Marketing, Datenanalyse und Entwicklung.
Das einzige Ziel von Growth Hacking ist das Wachstum eines Unternehmens. Dafür wird ein Prozess zugrunde gelegt, der die schnelle Identifikation von skalierbaren Kommunikationskanälen ermöglicht. Im Gegensatz zu traditionellen Marketingmaßnahmen wird jeder Touchpoint des potentiellen Kunden mit dem Unternehmen als potentieller Kommunikationskanal in Betracht gezogen.
Oder zusammengefasst: Growth Hacking ist die optimale Synthese aus Produkt, User Experience und Marketing – mit Wachstum als Ziel.
Du kennst die Situation vielleicht: Du hast ein neues Produkt entworfen, welches du online vermarkten möchtest. Du investierst deine Arbeitszeit und dein komplettes Wissen in die Konzeption und das Produktdesign. Nach monatelanger Planung wird die Website perfekt umgesetzt und das Produkt ist umfangreich und von hoher Qualität. Nach der Markteinführung werden die ersten Zahlen präsentiert und du bemerkst, dass das Produkt zu wenig performt und die Investition in keinem Verhältnis zum Ertrag steht. Heute kann man sich solche Rückschläge kaum mehr leisten, denn in den meisten Fällen die Ressourcen knapp bemessen. Vor allem das Tempo indem Unternehmen neue Produkte auf den Markt bringen müssen stellt eine grosse Herausforderung dar.
Sean Ellis, CEO von GrowthHackers.com und Erfinder des Begriffs «Growth Hacker», war früher für das Online Marketing mehrerer Start-Ups (u.a Dropbox) verantwortlich. Er hatte das Problem mit den zu hohen Investitionskosten und knappen Zeit erkannt und suchte nach neuen Möglichkeiten, um das Wachstum schnell und ohne zu viel Marketinggelder zu verschwenden, zu steigern. Ellis versuchte dies mit einer Kombination aus kreativen Marketingmaßnahmen, intensiver Webanalyse und Prozess-Automatisierung. Neu war auch das iterative Vorgehen. Anstatt die Produkteinführung monatelang vorzubereiten, plante er in kleinen Schritten und wiederholte diese bis erste Erfolge verzeichnet werden konnten.
Immer wenn Ellis in seinem weiteren Berufsleben von einem Start-Up zum nächsten zog und seine Position neu besetzen musste, fragte er sich, nach was für einem Profil er nun suchen sollte. Weil seine Fähigkeiten weit über die eines normalen Online Marketers hinausgingen, war er gezwungen für die Stellenausschreibungen eine neue Berufsgattung zu schaffen: der Growth Hacker war geboren.
Die Erfolgsstory von Sean Ellis war jedoch nicht der erste offizielle Growth Hack. Hotmail erreichte nach seinem Launch im Jahr 1996 innert kurzer Zeit durch einen sehr cleveren Hack ein enormes Nutzerwachstum. Der Email-Dienst sendete mit jeder ausgehenden E-Mail folgende Tagline mit: «PS. I love you. Get Your Free Email at Hotmail». Wenn also ein Hotmail User eine E-Mail sendete, konnte der Empfänger ganz einfach auf den Tagline-Link klicken, welcher ihn automatisch auf eine Landingpage leitete. Dort konnte er einen kostenlosen Email-Account anlegen. Dieser „Trick“ war eine Ursache dafür, dass Hotmail 1.5 Jahre nach dem Launch 12 Millionen User hatte.
Growth Hacking ist nicht nur für Startups
Viele der besten Growth Hacks haben eine sehr begrenzte Lebenszeit, weil sie auf die zu dieser Zeit verfügbaren und effizienten Möglichkeiten basieren. Insbesondere solche Hacks, die auf Basis einer dritten Plattform wie YouTube oder Facebook basieren, können durch eine kleine Änderung des Codes von einem auf den anderen Tag verschwinden. Deswegen sind neue Möglichkeiten oftmals ein streng gehütetes Geheimnis. Denn wenn jemand Gold gefunden hat, wird er nicht in die nächste Stadt rennen und den Ort seines Claims verraten.
Diese Kurzlebigkeit für aber auch dazu, dass es immer wieder neue Hacks und Methoden gibt und Growth Hacking einem stetigen Wandel unterzogen ist.
Zumal die Gruppe der Interessenten größer wird. Auch wenn hierzulande die Methoden im Online Marketing nach wie vor drei bis vier Jahre hinter den USA hinterherhinken, so gewinnt das Thema immer mehr an Bedeutung. Ein Hinweis dafür ist der beeindruckende Erfolg von Messen und Konferenzen, die sich mit dem Thema Digital Marketing beschäftigen, wie beispielsweise den Online Marketing Rockstars Festival in Hamburg oder die DMEXCO in Köln.
Dafür gibt es zwei Gründe:
1. Digital wins
Sieht man sich zum einen den Nasdaq an, wird dieser nicht mehr von „Old-School“ Unternehmen wie Exxon, General Electric oder Shell dominiert, wie es jahrzehntelang der Fall war. Drei der aktuell fünf wertvollsten Unternehmen der Welt sind Alphabet (die Holding von Google), Amazon und Facebook, also reine Internet-Player.
Keine Familien-Unternehmen oder Konzerne, die jahrzehntelang gewachsen sind, sondern ehemalige Startups, die ein skalierendes Business-Model zum globalen Erfolg geführt haben.
Mit Unternehmen wie Airbnb, Tesla, PayPal und Uber steht bereits die nächste Generation der Startup-Unicorns in den Startlöchern, etablierten Unternehmen das Fürchten zu lernen und bestehende Industrien zu disruptieren.
Dieser Druck durch internetbasierte Startups einer der Gründe dafür, dass inzwischen auch viele mittelständische Unternehmen und Konzerne Growth Hacking für sich entdecken. Deswegen entstehen immer mehr Corporate Startups und Acceleratoren, deswegen wird auch in etablierten Unternehmen immer mehr nach der agilen Scrum- statt der Waterfall-Methodik entwickelt. Die Lean Startup-Bewegung ist eine Inspiration für jedes Unternehmen, dass sich weiterentwickeln und wachsen möchte. Growth Hacking überträgt diese Dynamik auf das Marketing.
2. Menschen ändern ihr Verhalten
Der zweite wichtige Grund ist die Änderung im Medienkonsum, insbesondere bei den für die werbetreibende Industrie besonders attraktive Zielgruppe der unter 30jährigen.
Konnte man sich jahrzehntelang sicher sein, mit einer gut geplanten Werbekampagne im Fernsehen, auf Plakaten und in Zeitschriften einen Großteil seiner Zielgruppe erreichen zu können, so ist das nicht mehr länger zwingend der Fall. Junge Menschen verbringen inzwischen mehr Zeit mit dem Medienkonsum auf YouTube, Facebook und Instagram als mit Fernsehen. Warum? Weil diese Medien nicht nur den passiven Konsum erlauben, sondern auch das aktive Produzieren von eigenem Content.
Dazu kommt, dass insbesondere diese junge, attraktive Zielgruppe vermehrt zu Ad-Blocking Software greift und damit durch traditionelle Werbung im Internet wie Banner oder PreRolls-Ads nicht mehr erreichbar ist. In Deutschland nutzen bereits knapp 30% der Nutzer einen Ad-Blocker. Auch die Wachstumsraten der On-Demand Streamingdienste wie Netflix und Amazon Prime sorgen dafür, dass die Nutzer zwar mehr Medien konsumieren, aber Werbung umschiffen. Ein Problem für jeden Marketer.
Noch nie in der Geschichte der Menschheit kann jeder von uns mit nichts weiter als seinem Smartphone und einer Internetverbindung einen Großteil der gesamten Menschheit erreichen! Jeder kann ein Medienunternehmen sein. Und jedes Medienunternehmen ist daran interessiert, seine Auflage zu vergrößern. So sind also nicht nur die Medien einem nie dagewesenen Wandel unterworfen, sie sind außerdem so fragmentiert und demokratisiert wie nie.
Vereinfacht ausgedrückt ist jeder Instagram-Nutzer sowohl passiver Konsument als auch aktiver Publisher. Und wenn er als Publisher ambitioniert ist und mehr Reichweite erreichen möchte, tritt er in einen direkten Wettbewerb zu den etablierten werbetreibenden Unternehmen.
Die klassischen Einstiegshürden in den Werbemarkt wie große Medienbudgets, Tools zur Mediaplanung, Kontakte zu Vermarktern und Publishern, sind auf diesen neuen Medien nicht nur niedriger, sie sind gefallen. JEDER kann eine Werbekampagne auf Facebook anlegen und schon mit geringem Budget starten. Daher gibt es immer mehr werbetreibende Unternehmen und Unternehmer, was die Nachfrage nach effizienten und smarten Marketingmethoden erhöht. Reichweite und Branding spielen für große Konzerne nach wie vor eine große Rolle.
Aber selbst Unternehmen wie Adidas, Unilever oder BMW sind heute bemüht, ihre Marketingaktivitäten möglichst datenlastig, sprich effizient und zielgerichtet zu planen. Hohe Streuverluste kann sich keiner mehr leisten.
Zusammengefasst ist Growth Hacking also nicht nur interessant für Startups. Sondern für alle: vom selbstständigen Grafiker, der seine Dienstleistungen im Netz anbietet, über kleine- und mittlere Unternehmen (KMU) über Mittelständler bis hin zu globalen Konzernen.
Growth Hacking ist keine Revolution
“Half the money I spend on advertising is wasted; the trouble is I don’t know which half”. – John Wanamaker
John Wanamaker war ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann und Politiker, der den Schwerpunkt seiner geschäftlichen Tätigkeit in Philadelphia hatte. Er eröffnete eine der ersten Kaufhausketten (aus denen später Macy’s werden sollte) und durfte später den Posten des amerikanischen Postministers besetzen. Wannamaker war sich der Zwickmühle bewusst, dass er für seine Kaufhäuser werben musste um erfolgreich zu sein, aber das Werbung auch so ungezielt ist, dass er nicht nur seine potentiellen Käufer erreicht. Die Hälfte seiner Werbeaktivitäten war also rausgeschmissenes Geld, weil es nicht zu mehr Verkäufen führte.
Mit dieser Herausforderung sieht sich auch heute noch jeder Marketer konfrontiert. Aber im Jahr 2017 ist das schlicht und einfach nicht mehr zulässig. Und Growth Hacking tritt dafür den Beweis an. Denn diese Disziplin ist aus der Not von jungen Unternehmen entstanden, die es sich nicht leisten konnten, die Hälfte ihres Budgets zu verschwenden. Denn das wenige Geld, das diese Unternehmen verwenden können, sollte primär in die Produktentwicklung fließen. Werbung ist in den Augen vieler Gründer und Produktentwickler ein notwendiges Übel.
Growth Hacking ist keine Revolution. Sondern eine Evolution. Und die Ausgangslage ist bereits über 50 Jahre alt. Auch wenn Menschen mit anderen Fähigkeiten und mit einem etwas anderem Mindset sind, die sich Growth Hacker nennen, so ist es letzten Endes doch Marketing. Und zwar im klassischen Sinne.
Sean Ellis hat den Begriff des Growth Hackers 2010 geprägt und er meinte damit datengetriebene, technische-affine Menschen, die den Fokus ihrer Arbeit darauf, ein Produkt oder ein Unternehmen zu mehr Wachstum zu verhelfen.
Warum sorgte das für Aufsehen?
Weil es konträr der heutigen Personifikation eines Marketers ist. Marketing Manager sind meistens Menschen mit viel Charme und großartigen Power Point-Skills, die sowohl nach innen (in Meetings mit den eigenen Kollegen) wie auch nach außen (auf eleganten Cocktail-Parties) mit englischen Fachwörtern nur so um sich schmeißen. Mit viel Energie und Elan sorgen sie dafür, dass originelle Ideen zu award-verdächtigen Kampagnen mit TV-Spots und Postern werden, über deren sinnstiftende Tiefe sie in Interviews mit Fachmedien wie der Horizont oder der W&V ausschweifend erläutern dürfen.
Es sind zumeist gute, talentierte Menschen, die ihre Kollegen mitreißen und begeistern können. Die ihren Job hervorragend machen. Aber ihr Job ist nicht Marketing. Es ist Werbung. Und ja, das ist etwas anderes.
In den meisten Unternehmen ist die primäre Aufgabe der Marketing-Abteilung dafür zu sorgen, dass die Kreativ-, Media- und Spezialagenturen mit denen sie zusammenarbeiten, sich nicht in die Haare kriegen, sondern (mehr oder weniger) professionell miteinander arbeiten. Sehr wohl wissend, dass keine Agentur eine Gelegenheit auslassen wird, etwas vom Budgettopf der anderen Agenturen abzubekommen. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit dürfen Marketing-Manager, sofern sie die Kompetenz seitens der Geschäftsführung bekommen haben, die eine oder andere Entscheidung darüber treffen, wie und wo in diesem Jahr das Geld ausgegeben wird. So gesehen sind Marketing-Manager Schnittstellen mit Budgetverantwortung. Und auch daran ist überhaupt nichts auszusetzen, denn diese Aufgabe ist nicht einfach, aber notwendig.
Aber es ist eine Illusion zu glauben, dass sie mehr als Werbung machen. Und Werbung impliziert nicht Wachstum. Sie ist lediglich einer von vielen möglichen Wegen dorthin.
Dieser Artikel ist zuerst auf tomasherzberger.net erschienen. Er ist ein Auszug aus dem Buch „Growth Hacking“ von Tomas Herzberger und Sandro Jenny, das du jetzt auf Amazon oder im Buchhandel deines Vertrauens kaufen kannst.